Bundesgerichtshof: Langsame Bodenbewegung kann Erdrutsch sein
Beim Begriff "Erdrutsch" im Vertrag für eine Wohngebäudeversicherung geht es nicht nur um eine plötzliche Naturkatastrophe. Er umfasse auch Schäden, die durch die allmähliche und nicht augenscheinliche naturbedingte Bewegung von Gesteins- oder Erdmassen verursacht werden, erklärte der Bundesgerichtshof (BGH) am Montag in Karlsruhe. Die Anwendung der Klausel sei nicht auf "plötzliche und sinnlich wahrnehmbare Vorgänge" beschränkt. (Az. IV ZR 62/22)
Das Grundstück des Klägers liegt am Rand einer Terrasse, die vor 80 Jahren am Hang aufgeschüttet wurde. 2018 meldete er bei seiner Versicherung Schäden an: Am Haus und der Terrasse hätten sich Risse gebildet. Diese seien durch das Rutschen des Untergrunds von wenigen Zentimetern im Jahr verursacht worden.
Vor Gericht beantragte er einen Vorschuss für die Instandsetzung und außerdem die Verpflichtung der Versicherung, alle weiteren versicherten Schäden zu übernehmen. Damit hatte er vor dem Landgericht und dem Oberlandesgericht (OLG) Bamberg keinen Erfolg. Das OLG muss sich nun aber erneut mit dem Fall befassen, entschied der BGH.
In den Versicherungsbedingungen heißt es, ein Erdrutsch sei "ein naturbedingtes Abgleiten oder Abstürzen von Gesteins- oder Erdmassen". Nach Auffassung des OLG verstehe der durchschnittliche Versicherte darunter einen sinnlich wahrnehmbaren Vorgang und keinen, der sich über Jahrzehnte abspiele. Die Begriffe "abgleiten" und "abstürzen" implizierten eine gewisse Dynamik. Langsame Bewegungen des Bodens würden in der Geologie dagegen "Erdkriechen" genannt, was nicht im Vertrag stünde.
Diese Entscheidung hielt der BGH für rechtsfehlerhaft. Die Versicherungsbedingungen müssten so ausgelegt werden, dass sie ein durchschnittlicher Versicherter verstehe, erklärte er. Dabei sei der alltägliche Sprachgebrauch maßgeblich, nicht die Terminologie in Fachkreisen. "Abstürzen" beschreibe zwar ein plötzliches Ereignis, "abgleiten" aber nicht unbedingt.
Im konkreten Fall entschied der BGH aber nicht. Das muss das Bamberger Gericht tun und zuerst klären, ob die Behauptung des Klägers zur Ursache der Risse überhaupt zutrifft.
C.M.Diaz--ESF