Mehrfachmord in kurdisch geprägtem Viertel erschüttert Paris
Ein Mehrfachmord in einem kurdisch geprägten Viertel hat Paris am Tag vor Heiligabend erschüttert. Ein zuvor wegen rassistischer Gewalt angeklagter Franzose erschoss in der Nähe eines Kulturzentrums drei Menschen und verletzte drei weitere. Einer von ihnen schwebe in Lebensgefahr, teilte die Staatsanwaltschaft am Freitag mit. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron schrieb im Kurzbotschaftendienst Twitter von einem "abscheulichen Angriff", dessen Ziel die Kurden in Frankreich gewesen seien.
Nach Angaben einer kurdischen Vereinigung in Frankreich handelt es sich bei den Toten um kurdische Aktivisten, unter ihnen eine junge Frau und ein Musiker.
Die Pariser Staatsanwaltschaft leitete Ermittlungen wegen Mordes, versuchten Mordes, vorsätzlicher Waffengewalt und Verstoßes gegen das Waffengesetz ein. Zuständig ist die Kriminalitätsbrigade der Justizpolizei, nicht die Terrorstaatsanwaltschaft, die sich zunächst auch zum Tatort begeben hatte.
Der mutmaßliche Täter wurde am Tatort in Polizeigewahrsam genommen und leicht verletzt in ein Krankenhaus gebracht. Nach Informationen der Staatsanwaltschaft handelt es sich um einen 69 Jahre alten Franzosen, einen ehemaligen Lokführer.
Er soll vor etwa einem Jahr in Paris zwei Migranten mit einem Säbel verletzt und Zelte zerschnitten haben. Er war deswegen in Untersuchungshaft, aus der er erst vor elf Tagen entlassen worden war. Auf der Gefährderliste des Inlandsgeheimdienstes steht er der Staatsanwaltschaft zufolge nicht.
Der Täter habe "offensichtlich Ausländer angreifen wollen", sagte Innenminister Gérald Darmanin am Tatort. Er betonte aber, dass das genaue Motiv des Mannes, den er als Einzeltäter bezeichnete, nicht bekannt sei.
Ein Vertreter der kurdischen Gemeinde in Frankreich sprach von einem möglichen "Terroranschlag", hinter dem die Türkei zu vermuten sei.
Innenminister Darmanin erwähnte die zeitliche Nähe der Tat zum zehnten Jahrestag eines Dreifachmordes an kurdischen Aktivistinnen. Am 9. Januar 2013 waren drei kurdische Aktivistinnen der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) im selben Viertel ermordet worden. Den bis heute andauernden Ermittlungen der französischen Justiz zufolge waren Mitglieder des türkischen Geheimdienstes an der Tat beteiligt, es gibt jedoch keine Erkenntnisse zu mutmaßlichen Auftraggebern.
Kurdische Organisationen hatten erst kürzlich eine Aufklärung des Dreifachmordes von 2013 gefordert, für den 7. Januar ist eine große Demonstration kurdischer Gruppen in Paris geplant. Nach Informationen des in Berlin ansässigen Kurdischen Zentrums für Öffentlichkeitsarbeit fand zum Zeitpunkt der Tat in dem Pariser Kurdenzentrum ein Vorbereitungstreffen für die Demonstration statt.
Premierministerin Elisabeth Borne sprach von einer "schrecklichen Tat" und sprach den Angehörigen der Opfer ihr Mitgefühl aus. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) schrieb auf Twitter auf Deutsch und Französisch von einer "schlimmen Tat", die "Paris und Frankreich erschüttert hat". Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) twitterte zu dem Mehrfachmord: "Hass darf niemals gewinnen."
Der Tatort, die Rue d'Enghien, ist eine kleine Straße im 10. Arrondissement. Das Kurdenzentrum Ahmet Kaya ist nach einem kurdischen Sänger benannt. Der Verein soll der Integration der kurdischen Bevölkerung dienen.
Nach der Gewalttat kam es im betroffenen Viertel zu Zusammenstößen zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften. Protestierende warfen mit Gegenständen, zündeten Mülltonnen an und errichteten Barrikaden, die Polizei setzte Tränengas ein. Die Fensterscheiben mehrerer Privatautos und Polizeifahrzeuge wurden zertrümmert.
D.Torres--ESF