Baerbock-Vorschlag für Ukraine-Tribunal stößt in EU auf Ablehung
Der Vorschlag von Bundesaußenministerin Annalena Baerbock für ein Ukraine-Sondertribunal stößt in der EU auf Ablehnung. Beim Treffen der EU-Justizminister in Stockholm unterstützte am Freitag kein Land explizit den Vorstoß der Grünen-Politikerin. Die Baerbock-Kritiker befürchten, dass Russlands Präsident Wladimir Putin und sein engstes Umfeld so nicht zur Verantwortung gezogen werden könnten. EU-Justizkommissar Didier Reynders verwies auf laufende Ermittlungen in der Ukraine, bei denen schon zehntausende Hinweise auf Kriegsverbrechen zusammengekommen seien.
Baerbock hatte Mitte Januar in Den Haag gefordert, mit dem Sondertribunal die russische "Aggression", also den Angriffskrieg in der Ukraine, zu ahnden. Sie will das Gericht nach ukrainischem Recht einrichten, weil sie fürchtet, bei den Vereinten Nationen die nötigen Mehrheiten für ein internationales Tribunal zu verfehlen.
Bei den EU-Justizministern stieß sie damit ebenso auf Widerspruch wie bereits bei den Außenministern in Brüssel am Montag. Der belgische Justizminister Vincent Van Quickenborne betonte in Stockholm, die internationale Gemeinschaft müsse "die großen Tiere" in Russland zur Verantwortung ziehen und nicht "einfache Menschen in der Armee". Er spielte damit unter anderem auf Präsident Putin und Außenminister Sergej Lawrow an.
Ein Sondertribunal unter ukrainischem Recht wie von Baerbock gefordert könnte ausgerechnet die Hauptverantwortlichen für den Angriffskrieg wegen ihrer Immunität nicht belangen. Für ein internationales Tribunal gibt es allerdings hohe Hürden: Entweder müsste der UN-Sicherheitsrat zustimmen, wo Russland ein Vetorecht hat - oder es müsste in der UN-Vollversammlung eine Zweidrittel-Mehrheit geben.
"Wir brauchen einen internationalen Gerichtshof, der nicht nur von der EU unterstützt wird, sondern weltweit", sagte Van Quickenborne zu der Frage der Legitimität des Gerichts.
Die luxemburgische Justizministerin Sam Tanson sprach sich ebenfalls für ein internationales Tribunal aus, das "in aller Unabhängigkeit" von der Ukraine Recht sprechen könne. "Es ist sehr sehr wichtig, dass Russland und alle Kriegsverbrecher hier zur Rechenschaft gezogen werden", sagte Tanson. Ähnlich äußerte sich die österreichische Justizministerin Alma Zadic.
Auch Irland und Lettland äußerten sich skeptisch über Baerbocks Idee. Zuvor hatten sich bereits Frankreich und die Baltenstaaten Litauen und Estland für ein internationales Tribunal ausgesprochen.
Die EU und die Ukraine wollen bei ihrem Gipfeltreffen kommende Woche in Kiew nach Brüsseler Angaben über Möglichkeiten zur Ahndung des russischen Angriffskriegs beraten. "Ein erster Schritt könnte es sein, ein echtes Strafverfolgungs-Büro aufzubauen, um Beweise für das Verbrechen der Aggression zu sammeln", sagte EU-Justizkommissar Didier Reynders am Freitag in Stockholm am Rande des Justizministertreffens.
Eine solche Sonderermittler-Stelle lasse sich "sehr schnell" einsetzen, betonte Reynders. Er verwies auf ein Treffen zwischen der EU-Kommission unter Präsidentin Ursula von der Leyen und der ukrainischen Regierung kommende Woche Donnerstag in Kiew. Dort könnte es nach seinen Worten eine Grundsatzeinigung geben. Am Freitag findet in Kiew dann ein Gipfel mit von der Leyen, dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj und EU-Ratspräsident Charles Michel statt.
Internationale Ermittler gehen in der Ukraine bereits Hinweisen auf Kriegsverbrechen nach, etwa wegen der mutmaßlich russischen Massaker an Zivilisten in Butscha bei Kiew. Reynders sagte zum Abschluss des Justizministertreffens, insgesamt seien bisher 65.000 Hinweise auf mögliche Kriegsverbrechen in der Ukraine zusammengekommen. "Wir befassen uns nun mit der höchsten Zahl jemals dokumentierter Kriegsverbrechen", sagte Reynders. Dies sei ein "Wendepunkt" in der internationalen Strafverfolgung.
F.Alegria--ESF