Erdogan räumt bei Besuch von Erdbebenregion "Defizite" im Krisenmanagement ein
Nach dem verheerenden Erdbeben im türkisch-syrischen Grenzgebiet hat der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan "Defizite" im Krisenmanagement eingeräumt. Bei einem Besuch von zwei besonders von der Katastrophe betroffenen Regionen sagte Erdogan am Mittwoch allerdings auch, es sei nicht möglich, "auf so ein Erdbeben vorbereitet zu sein". Die EU kündigte unterdessen eine Geberkonferenz für Syrien und die Türkei für Anfang März an.
Durch das Erdbeben am Montag im türkisch-syrischen Grenzgebiet sind nach jüngsten Angaben vom Mittwoch mehr als 11.700 Menschen um Leben gekommen. Das Krisenmanagement der türkischen Regierung wurde von vielen Menschen in den betroffenen Regionen heftig kritisiert.
Erdogan sagte bei seinem Besuch in der südlichen Provinz Hatay: "Natürlich gibt es Defizite. Die Zustände sieht man ja ganz klar." Gleichzeitig nahm er Polizisten und Soldaten vor der nach dem Erdbeben aufgekommenen Kritik in Schutz. Diese seien "ehrenhaft".
Wer behaupte, es seien keine Soldaten und Polizisten vor Ort, sei "ehrenlos und unehrlich", sagte der türkische Staatschef. Seine Regierung werde es nicht zulassen, dass derart über die Einsatzkräfte gesprochen werde. In der Provinz Hatay seien mehr als 21.000 Helfer im Einsatz, darunter Soldaten und Polizisten.
Zuvor hatte es heftige Kritik aus der Bevölkerung gegeben, dass sie bei den Bergungsarbeiten von den Behörden im Stich gelassen würden. Reporter der Nachrichtenagentur AFP sahen Menschen, die mit bloßen Händen in den Trümmern nach Verwandten suchten, und sprachen mit wütenden Anwohnern, die vergeblich auf versprochene Zelte, Lebensmittel und Ausrüstung gewartet hatten.
Auch im Internet beklagten sich zahlreiche Menschen in den betroffenen Regionen bitter über das Katastrophenmanagement der türkischen Regierung. Doch zum Zeitpunkt von Erdogans Besuchs in den Erdbebenregionen war der Kurzbotschaftendienst Twitter größtenteils nicht mehr erreichbar. Nutzer in der Türkei und die Netzwerkverkehr-Beobachtungsstelle netblocks.org berichteten, dass der Zugang zu Twitter bei mehreren Internetanbietern eingeschränkt sei.
Das Erdbeben hatte sich am Montag in den frühen Morgenstunden im türkisch-syrischen Grenzgebiet ereignet. Rettungskräfte suchen noch immer nach Überlebenden, Experten rechnen jedoch bei den eisigen Temperaturen mit weiter steigenden Opferzahlen. Am Mittwoch stieg die Gesamtzahl der in beiden Ländern gezählten Todesopfer auf mehr als 11.700. Demnach kamen durch das Beben 9057 Menschen in der Türkei ums Leben, in Syrien 2622.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen erklärte zu der fünf Anfang März geplanten Geberkonferenz, die Türkei und Syrien könnten "auf die EU zählen. Nach Einschätzung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) könnten bis zu 23 Millionen Menschen von den Folgen des Bebens betroffen sein.
In den ersten Tagen hatten gesperrte Flughäfen und verschneite Straßen die Ankunft von Rettungsmannschaften und Hilfslieferungen verzögert. In Syrien kommt die politisch heikle Lage hinzu. Das Katastrophengebiet ist dort in von Damaskus kontrollierte Gebiete und Territorien unter der Kontrolle von Rebellen geteilt. Auf Betreiben von Damaskus und Moskau ist seit Jahren nur noch der Grenzübergang Bab al-Hawa für Hilfslieferungen nach Syrien geöffnet.
Inzwischen mehren sich die Forderungen an Ankara und Damaskus, grenzüberschreitende Hilfe zu ermöglichen. So rief die UNO Syriens Regierung dazu auf, Helfern Zugang zu den von Rebellen kontrollierten Erdbebengebieten im Nordwesten des Landes zu ermöglichen.
"Lassen Sie die Politik beiseite und lassen Sie uns unserer humanitäre Arbeit tun", appellierte der UN-Hilfskoordinator für Syrien, El-Mostafa Benlamlih, in einem Interview der Nachrichtenagentur AFP an die Regierung von Machthaber Baschar al-Assad. Auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) forderte Zugang zu den Katastrophengebieten in Syrien.
Laut dem Bericht von AFP-Korrespondenten blieben im Katastrophengebiet auch die zweite Nacht in Folge viele Menschen auf der Straße - teils aus Angst vor Nachbeben und teils, weil sie keine Häuser mehr und auch keine Notunterkünfte hatten.
A.Navarro--ESF