Mehrere Verschüttete mehr als 100 Stunden nach Erdbeben in Türkei lebend geborgen
Inmitten von Tod und Trümmern ist es deutschen Einsatzkräften im türkischen Erdbebengebiet gelungen, eine mehr als 100 Stunden lang verschüttete Frau lebend zu bergen. Auch aus anderen Städten wurden am Freitag weiterhin vereinzelt erfolgreiche Rettungseinsätze gemeldet. Die vorläufige Zahl der Todesopfer nach dem verheerenden Erdbeben vom Montag stieg in der Türkei und Syrien auf beinahe 23.000. Die internationalen Hilfslieferungen kommen derweil in Schwung.
Die 40-Jährige wurde am Freitag in Kirikhan nach einem mehr als 50 Stunden dauernden Einsatz gerettet, wie die Hilfsorganisation ISAR Germany mitteilte. Die Rettung der Frau gelang dem Team aus ISAR Germany, ISAR Turkey und der Rettungshunde-Hilfsorganisation BRH Bundesverband gegen 12.45 Uhr Ortszeit (10.45 Uhr MEZ). "Alle hier an der Einsatzstelle sind sehr glücklich über die Rettung und tief beeindruckt von der Stärke der Frau", erklärte Einsatzleiter Steven Bayer.
Mehr als 100 Stunden war die Frau mit dem Vornamen Zeynep zwischen den Trümmern eines Wohnhauses eingeklemmt. ISAR-Sprecher Stefan Heine sagte der Nachrichtenagentur AFP, die Frau habe unter den Trümmern "sehr lang auf dem Bauch" gelegen, auf ihr die Leiche ihres Mannes und in ihrer unmittelbaren Nähe weitere tote Angehörige.
Dem ISAR-Team war es gelungen, die Frau über einen Schlauch mit Flüssigkeit zu versorgen. Nach ihrer Bergung war sie in einem "stabilen Zustand und wurde gleich medizinisch versorgt", wie ISAR-Sprecher Heine sagte. Einsatzleiter Bayer schilderte die Rettungsaktion als "sehr kompliziert". "Um an sie zu gelangen, mussten unsere Teams Betondecken durchbrechen und viel Schutt abtransportieren" - und das ohne schweres Gerät.
Aus anderen türkischen Städten wurden weitere Rettungen gemeldet. Das türkische Fernsehen zeigte, wie 108 Stunden nach dem Erdbeben in der Provinz Hatay eine Mutter und ihre vier Kinder lebend aus dem Trümmern geborgen werden konnten. In der 105. Stunde nach dem Beben waren bereits der 18 Monate alten Yusuf Hüseyin in Antakya und 20 Minuten später der siebenjährigen Muhammed Hüseyin gerettet worden. Weitere Verschüttete wurden in der Provinz Adiyaman und in Gaziantep geborgen.
Nach dem schweren Erdbeben am Montag wurden auf beiden Seiten der Grenze bereits beinahe 23.000 Tote gezählt, davon 3377 in Syrien. Das Auswärtige Amt in Berlin sprach von einer "niedrigen zweistelligen Zahl an vermissten und verletzten Deutschen in der Türkei". Informationen über deutsche Todesopfer in der Türkei lägen nicht vor, Fälle von vermissten, verletzten oder getöteten Deutschen in Syrien seien bisher nicht bekannt.
Die internationale Hilfe kommt unterdessen immer mehr in Schwung. Die Weltbank sagte der Türkei 1,78 Milliarden Dollar (rund 1,66 Milliarden Euro) zu. Die USA kündigten ein erstes Hilfspaket in Höhe von 85 Millionen Dollar für die Türkei und Syrien an. Aus Deutschland waren nach ersten Hilfsflügen am Donnerstag für Freitag laut Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) drei weitere Flüge vom Fliegerhorst Wunstorf in Niedersachsen mit mehr als 40 Tonnen Material an Bord vorgesehen. Die Nato-Mitgliedsstaaten wollen der Türkei Notunterkünfte zur Verfügung stellen.
Die Hilfslieferungen werden allerdings durch die zerstörte Infrastruktur und das Winterwetter erschwert. Im Bürgerkriegsland Syrien kommt hinzu, dass die Katastrophenregion in von Damaskus kontrollierte Gebiete und Territorien unter der Kontrolle regierungsfeindlicher und überwiegend islamistischer Milizen geteilt ist.
Am Freitag erlaubte die Regierung in Damaskus nach eigenen Angaben Hilfslieferungen in von Rebellen kontrollierte Gebiete. Die Regierung billige "die Lieferung humanitärer Hilfe in alle Teile der Arabischen Syrischen Republik", erklärte das Kabinett.
In der von Rebellen und Islamisten kontrollierten Erdbebenregion im Nordwesten Syriens leben 4,8 Millionen Menschen, die nur schwer erreicht werden können. Fast die gesamte humanitäre Hilfe kommt über Bab al-Hawa - den einzigen Übergang der türkisch-syrischen Grenze.
Die Vereinten Nationen teilten am Freitag mit, die Hilfsvorräte in Syrien seien nach dem Beben bald aufgebraucht. Es müssten nun schnell neue Hilfsgüter beschafft werden. Das Welternährungsprogramm (WFP) bat um Hilfsgelder für die Erdbebenopfer in Höhe von 77 Millionen Dollar (71,6 Millionen Euro). Damit sollten Lebensmittelrationen und warme Mahlzeiten für 874.000 Menschen in beiden Ländern finanziert werden.
M.F.Ortiz--ESF