"Wetterfest machen": Steinmeier fordert mehr Schutz für Bundesverfassungsgericht
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat zu einem besseren Schutz des Bundesverfassungsgerichts vor Demokratiefeinden aufgerufen. "Wir müssen verhindern, dass eine extremistische Minderheit unsere Institutionen funktionsunfähig macht", sagte Steinmeier am Donnerstag zum Auftakt einer Diskussionsreihe im Berliner Schloss Bellevue. Das oberste deutsche Gericht müsse "wetterfest" gemacht werden, um "es vor möglichen Angriffen auf seine Unabhängigkeit zu schützen". Ähnliche Forderungen kamen am Donnerstag auch von Juristenverbänden.
Erfahrungen in Polen und Ungarn, aber auch in anderen Ländern, "sollten uns eine Mahnung sein", betonte Steinmeier. "Überall dort stand die Unabhängigkeit der höchsten Gerichte zuerst im Zentrum von Angriffen auf die liberale Demokratie." Deshalb halte er "den Gedanken für richtig, Regelungen für die Struktur des Gerichts, das Wahlverfahren und die Amtszeiten der Richter ins Grundgesetz aufzunehmen." Diese Regelungen könnten dann nur mit einer Zweidrittelmehrheit im Bundestag geändert werden.
"Ich verkenne die Tragweite und Komplexität einer solchen Regelung überhaupt nicht", sagte Steinmeier. "Dennoch: meines Erachtens ist jetzt die Zeit, über Inhalt und Umfang einer Verfassungsergänzung nachzudenken." Jetzt müsse "das Momentum genutzt werden, um im Gegenwind von Krise, Krieg und dem Verlust alter Gewissheiten unsere Demokratie wieder zu stärken und resilienter zu machen - gegen Gefährdungen und Bedrohungen von Extremisten, denen sie nichts wert ist."
Angesichts des Erstarkens der AfD und extremistischer Ränder gibt es in der Bundesregierung Überlegungen, die jetzige Struktur des Verfassungsgerichts im Grundgesetz abzusichern. Nötig wäre dafür eine Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat. Diese ist nur mit der Union möglich, die diese Maßnahme aber bisher ablehnt. Derzeit könnte das Gesetz über das Bundesverfassungsgericht, das Zuständigkeiten und Verfahrensweisen regelt, mit einfacher Bundestagsmehrheit geändert werden.
Auch eine Allianz aus Juristen-Verbänden sprach sich am Donnerstag für einen besseren Schutz des Bundesverfassungsgerichts aus. "Es ist an der Zeit, die Verfassungsgerichte in Bund und Ländern auch verfassungsrechtlich gegen Blockaden abzusichern und besser vor zielgerichteten Eingriffen zu schützen", schrieben der Deutsche Anwaltsverein, Juristentag, Juristinnenbund und Richterbund am Donnerstag in einer gemeinsamen Erklärung. "Der Schutz einer unabhängigen Justiz in Bund und Ländern ist ein gesamtgesellschaftliches Ziel, das über parteipolitischen Erwägungen stehen muss."
Die Organisationen fordern "alle demokratischen Parteien auf, die Gespräche über ein höheres Schutzniveau für das Bundesverfassungsgericht zum Wohle der freiheitlich-demokratischen Grundordnung fortzusetzen", heißt es in der Erklärung weiter. "Die Beispiele Polens oder Ungarns zeigen, wie schnell selbst vermeintlich stabile Rechtsstaaten kippen können."
Anlass der Diskussionsreihe in Schloss Bellevue ist das bald 75-Jährige Bestehen des im Mai 1949 erlassenen Grundgesetzes. Steinmeier sprach zum Auftakt auch über den Zustand der Demokratie in digitalen sozialen Medien. "Wenn wir unsere Debatten, von denen eine freie Gesellschaft doch lebt, mehr und mehr auf Plattformen führen, die mit Aggression und Lügen ihr Geld verdienen – Wie verteidigen wir dann eigentlich den Respekt, die Vernunft, die Wahrheit, die die Grundlage jeder Demokratie sind?", fragte Steinmeier.
Die CDU-Bundestagsabgeordnete Serap Güler bemängelte in diesem Zusammenhang eine mangelnde Medienkompetenz in Teilen der Bevölkerung, der die Politik entgegenwirken solle. Vertreter aller Parteien müssten heute ihre Politik auch "viel mehr erklären als früher", sagte sie in einer Diskussionsrunde.
Der SPD-Bundestagsabgeordnete Johann Saathoff kritisierte soziale Netzwerke wie Tiktok für ihre Algorithmen, die vor allem diejenigen Beiträge bevorteilten und zu höheren Reichweiten verhelfen würden, die Skandale schürten und destruktiv seien. Demokratische Parteien müssten klarer machen, dass sie untereinander wesentlich weniger unterscheide als "von den Rechten".
Steinmeier verurteilte auch die jüngsten Angriffe auf Parteiveranstaltungen. "Es ist inakzeptabel, wenn politische Versammlungen mit Bundestagsabgeordneten gewaltsam gesprengt werden, wenn kleine Gruppen von Demokratiefeinden demokratische Proteste unterwandern."
F.Gomez--ESF