Moskau und Kiew fordern trotz zunehmender Gewalt in Ostukraine weitere Gespräche
Die Furcht vor einem kurz bevorstehenden Großangriff Russlands auf die Ukraine wächst weiter. Zwar verständigten sich Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und Russlands Staatschef Wladimir Putin am Sonntag in einem Telefonat darauf, an einem Waffenstillstand in der Ostukraine zu arbeiten. Der Kreml machte anschließend allerdings ausschließlich die ukrainische Armee für die derzeitige Gewalt verantwortlich. Laut US-Außenminister Antony Blinken deutet "alles" daraufhin, "dass wir am Rande einer Invasion stehen".
Dem Kreml zufolge vereinbarten Macron und Putin, "die Wiederherstellung des Waffenstillstands zu erleichtern und Fortschritte bei der Lösung des Konflikts zu gewährleisten". Putin habe in dem Gespräch aber auch "Provokationen" der ukrainischen Armee angeprangert.
Schuld trägt aus Putins Sicht auch der Westen: Durch die Lieferungen moderner Waffen und Munition an die ukrainischen Streitkräfte dränge er "Kiew in Richtung einer militärischen Lösung" in dem seit 2014 andauernden Konflikt mit den pro-russischen Separatisten in der Ostukraine, erklärte der Kreml. Die Nato und die USA müssten die russischen Sicherheitsbedenken ernst nehmen.
Moskau gibt an, sich durch die Nato-Osterweiterung bedroht zu fühlen und hat nach westlichen Angaben rund 150.000 Soldaten an der Grenze zur Ukraine zusammengezogen. Truppen der pro-russischen Separatisten in der Ukraine mit eingeschlossen könnten es demnach bis zu 190.000 Soldaten sein. Moskau bestreitet jedoch jegliche Angriffspläne.
Als mögliches Zeichen für Entspannung war die Ankündigung aus Moskau gewertet worden, seine schätzungsweise 30.000 Soldaten aus dem Nachbarland Belarus abzuziehen. Das belarussische Verteidigungsministeriums erklärte nun jedoch, Präsident Alexander Lukaschenko und Putin hätten angesichts der "Eskalation" des Ostukraine-Konflikts entschieden, ihr gemeinsames Militärmanöver fortzusetzen.
Diese Darstellung "entspricht nicht den Äußerungen von Präsident Putin", erklärte allerdings der Elysée-Palast nach Macrons Telefonat mit dem Kreml-Chef. Dieser habe seine Absicht kundgetan, seine Truppen aus Belarus nach Abschluss der laufenden Militärübungen abzuziehen.
In der Ostukraine nahm die Gewalt weiter zu. Nach ukrainischen Angaben starben am Samstag zwei ukrainische Soldaten durch Granatbeschuss. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj forderte eine Wiederaufnahme der Verhandlungen über einen Waffenstillstand unter Führung der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE).
Auf der Münchner Sicherheitskonferenz bot der Selenskyj Putin ein Treffen an. Er wandte sich jedoch auch gegen eine "Appeasement-Politik" und forderte erneut eine klare Perspektive für einen Nato-Beitritt der Ukraine.
Die pro-russischen Separatisten in den selbsternannten "Volksrepubliken" Donezk und Luhansk werfen Kiew hingegen vor, einen Großangriff zu planen. Sie riefen zur "Generalmobilmachung" auf und forderten Zivilisten zum Verlassen der Gebiete auf.
Westliche Vertreter warnen seit Tagen, dass Russland an einem Vorwand für einen Angriff auf die Ukraine arbeite. US-Außenminister Blinken bekräftigte dies erneut. Putin "befolgt das Drehbuch fast buchstabengetreu", sagte er. "Russland versucht, eine Reihe von Provokationen als Rechtfertigung für eine Aggression gegen die Ukraine zu schaffen."
US-Präsident Joe Biden sei dennoch "jederzeit" zu einem Treffen mit Putin bereit, sagte Blinken, der am Sonntag eine Reihe von TV-Interviews gab. Die diplomatischen Bemühungen würden so lange fortgesetzt, "bis Panzer tatsächlich" in die Ukraine rollen "und Flugzeuge am Himmel sind". "So viel Diplomatie wie möglich, ohne naiv zu sein - das ist der Anspruch", sagte seinerseits Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD).
Macrons Büro kündigte noch für Sonntag ein Telefonat mit Biden und Scholz an. Am Montag soll Frankreichs Außenminister Jean-Yves Le Drian zudem mit seinem russischen Kollegen Sergej Lawrow sprechen. Die OSZE setzte ebenfalls für Montag eine Sondersitzung zum Ukraine-Konflikt an, während die EU-Außenminister in Brüssel mit ihrem ukrainischen Kollegen Dmytro Kuleba über die Krise beraten wollen.
Die Nato zog am Wochenende aus Sicherheitsgründen ihr Personal aus Kiew ab. Das Auswärtige Amt hatte alle Deutschen am Samstag zum sofortigen Verlassen der Ukraine aufgerufen. Die Lufthansa und Austrian Airlines kündigten an, ihre Flüge nach Kiew und Odessa ab Montag auszusetzen.
M.Ortega--ESF