Russische Armee versucht Kiew einzukreisen - Hauptstadt im "Belagerungszustand"
Die russische Armee kreist die ukrainische Hauptstadt Kiew immer weiter ein und weitet mit Angriffen auf Wohngebiete zugleich ihre Offensive im Osten des Landes aus. In mehreren ukrainischen Städten, darunter Kiew, Odessa, Dnipro und Charkiw, warnten die Sirenen am Samstagmorgen vor russischen Luftangriffen, wie ukrainische Medien berichteten. Die Industriestadt Dnipro war am Freitag zum ersten Mal angegriffen worden. Besonders dramatisch ist die Lage weiterhin in der Hafenstadt Mariupol.
Kiew befinde sich inzwischen im "Belagerungszustand", erklärte der Präsidentenberater Mychailo Podoljak am Freitag. Die Stadt sei aber "bereit zu kämpfen" und werde "standhaft bis zum Ende sein".
Vorstädte im Nordwesten Kiews werden seit Tagen von schweren Luftangriffen erschüttert. Der ukrainische Generalstab warnte, die russische Armee versuche, die Verteidigung westlich und nordwestlich der Hauptstadt auszuschalten, um Kiew zu "blockieren". Mittlerweile nähert sich die russische Armee der Stadt auch von Nordosten her. Ukrainische Soldaten berichteten AFP-Reportern von heftigen Kämpfen um die Kontrolle der wichtigsten nach Kiew führenden Autobahn bei Welyka Dymerka.
Besonders dramatisch ist die Lage im seit mehr als zehn Tagen von der russischen Armee eingekesselten Mariupol. Nach Angaben der Behörden wurden seit Beginn der Belagerung mindestens 1500 Menschen getötet. Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) berichtete von katastrophalen Bedingungen für die noch rund 300.000 in der Stadt eingeschlossenen Zivilisten. Die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen warnte vor einer "unvorstellbaren Tragödie".
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sagte am Freitagabend in einer Videoansprache, Mariupol werde weiter "vom Feind blockiert". "Russische Soldaten haben unsere Hilfe nicht in die Stadt gelassen", sagte Selenskyj. "Morgen werden wir es noch einmal versuchen. Wir schicken noch einmal Essen, Wasser und Medizin."
Selenskyj sprach von einer "humanitären Katastrophe". In Kiew und anderen Städten gebe es keinen Strom, kein Gas und kein Wasser mehr. Russland wolle die Ukraine "zerstören" und ziehe dazu auch "syrische Mörder" heran, warnte er. Russlands Präsident Wladimir Putin hatte zuvor den Einsatz von 16.000 "freiwilligen", hauptsächlich aus dem Nahen Osten stammenden Kämpfern in der Ukraine bewilligt.
Selenskyj richtete einen Appell an die Mütter russischer Soldaten. "Schicken Sie Ihre Kinder nicht in den Krieg in einem fremden Land", sagte er in einer Videobotschaft. "Die Ukraine hat diesen schrecklichen Krieg nie gewollt." Sein Land werde sich aber gegen den russischen Angriff verteidigen.
Die russische Armee hatte ihre Offensive in der Ukraine zuletzt deutlich ausgeweitet. Neben Kiew und Mariupol nehme Russland mehrere Städte im Zentrum und Osten ins Visier, teilte das ukrainische Militär mit. Am Freitag griff Russland erstmals die östliche Industriestadt Dnipro an. Nach Angaben der Rettungskräfte trafen die Luftangriffe mehrere zivile Gebäude, darunter einen Kindergarten. Mindestens ein Mensch sei getötet worden.
In der besetzten südukrainischen Stadt Melitopol wurde nach ukrainischen Angaben der Bürgermeister Iwan Fedorow von russischen Soldaten entführt.
Millionen Ukrainer sind wegen des russischen Angriffskrieges auf der Flucht. Nach UN-Angaben flohen inzwischen 2,5 Millionen Menschen aus dem Land, hinzu kommen zwei Millionen Binnenflüchtlinge.
US-Präsident Joe Biden bekräftige unterdessen, dass die USA und ihre Nato-Partner "keinen Krieg gegen Russland in der Ukraine führen" würden. "Eine direkte Konfrontation zwischen der Nato und Russland ist der Dritte Weltkrieg", sagte er.
Stattdessen kündigte Biden weitere Sanktionen gegen Russland an, unter anderem ein Importverbot für Wodka, Meeresfrüchte und Diamanten aus Russland. Die USA und ihre westlichen Partner wollen Russland zudem den Status einer "meistbegünstigten Nation" entziehen. Dies würde den Weg für höhere Zölle und weitere Handelsbeschränkungen ebnen.
E.Abril--ESF