Neue Verhandlungsrunde zwischen Russland und Ukraine in der Türkei
Mehr als einen Monat nach Beginn des Ukraine-Krieges hat eine weitere Verhandlungsrunde über eine Waffenruhe zwischen Russland und der Ukraine begonnen. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan, der die Delegationen am Dienstag in Istanbul empfing, sprach von "berechtigten Sorgen" beider Seiten und rief dazu auf, "die Tragödie" zu beenden. Die ukrainischen Truppen verkündeten derweil Geländegewinne; demnach vertrieben sie die russischen Streitkräfte aus einigen Vororten Kiews und Charkiws.
Die Vertreter Moskaus und Kiews kamen in Istanbul erstmals seit fast drei Wochen wieder direkt zusammen, zuletzt hatte es nur Videokonferenzen gegeben. Die Gespräche sollen bis Mittwoch dauern. Bislang war in keiner der Verhandlungsrunden ein Durchbruch erzielt worden.
Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba äußerte sich auch diesmal skeptisch zu den Erfolgsaussichten. "Wenn es sich um eine Wiederholung ihrer Propaganda handelt, werden die Gespräche erneut scheitern", sagte er über die russische Delegation.
Zu den zentralen Themen gehören nach Angaben des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj "Sicherheitsgarantien und die Neutralität" sowie der Status der Ukraine als "atomwaffenfreier Staat". Eine Neutralität der Ukraine ist eine der russischen Hauptforderungen.
Auch der russische Milliardär Roman Abramowitsch nahm laut einem von der türkischen Präsidentschaft veröffentlichten Foto an den Gesprächen teil. Der Milliardär soll gute Kontakte zu Russlands Präsident Wladimir Putin haben. Am Montag war bekannt geworden, dass Abramowitsch und zwei ukrainische Unterhändler möglicherweise Ziel eines Giftanschlags geworden waren, nachdem sie an einem Treffen in Kiew teilgenommen hatten.
Unterdessen verkündete die Regierung in Kiew die Wiederaufnahme von Evakuierungen aus umkämpften ukrainischen Städten. Diese waren am Vortag vorerst gestoppt worden. Anlass waren nach Regierungsangaben Hinweise auf "mögliche Provokationen" der russischen Armee entlang der festgelegten Fluchtrouten.
In einigen Teilen des Landes konnte die ukrainische Armee nach eigenen Angaben Gebiete zurückerobern. Die Stadt Irpin im Nordwesten der Hauptstadt sei "befreit worden", sagte der ukrainische Innenminister Denys Monastyrsky am Montagabend im Fernsehen. Der Vorort im Nordwesten von Kiew war in den vergangenen Wochen Schauplatz heftiger Kämpfe. Als der Vormarsch der russischen Truppen auf Kiew ins Stocken geriet, wurde Irpin massiv bombardiert.
Selenskyj sagte allerdings in seiner abendlichen Videoansprache, es sei "noch zu früh, um von Sicherheit in diesem Teil unserer Region zu sprechen. Die Kämpfe gehen weiter". Die Russen kontrollierten nach wie vor die Gebiete im Norden Kiews.
Westliche Experten bezeichneten den Verlust von Irpin als bedeutenden Rückschlag für die russischen Streitkräfte. Diese versuchen derzeit, sich neu zu formieren und nach einem gescheiterten ersten Versuch, die Hauptstadt einzukreisen. "Der Feind ist geschwächt, desorientiert, die meisten haben keine logistische Unterstützung mehr und sind vom Großteil der Truppen abgeschnitten", erklärte der ukrainische Generalstab in der Nacht zum Dienstag.
In der südlichen Stadt Mykolajiw ging der Beschuss durch russische Luftangriffe allerdings weiter. Am Dienstag wurde das regionale Verwaltungsgebäude getroffen. "Wie durch ein Wunder" seien die Menschen im Inneren des Gebäudes entkommen, sagte Gouverneur Vitali Kim.
In Charkiw, der zweitgrößten Stadt der Ukraine, fanden AFP-Journalisten im schwer zerstörten Stadtteil Saltiwka am nordöstlichen Stadtrand nur noch wenige Menschen vor, die in Kellern hausten. Im Vorort Mala Rogan sahen die Journalisten nach der Rückeroberung durch ukrainische Truppen die Leichen zweier russischer Soldaten sowie zerstörte russische Panzer.
Die Kämpfe haben bereits mehr als zehn Millionen Menschen vertrieben. Nach Angaben Selenskyjs wurden schätzungsweise 20.000 Menschen getötet.
Derweil teilte das britische Verteidigungsministerium am Montagabend mit, dass auch russische Söldner der berüchtigten Gruppe Wagner im Osten der Ukraine eingesetzt würden. Schätzungen zufolge könnten demnach mehr als tausend Söldner für Kampfeinsätze entsandt werden. Russlands "Schattenarmee" wird mit Krisenregionen wie Syrien, Libyen, der Zentralafrikanischen Republik und zuletzt auch Mali in Zusammenhang gebracht. Moskau bestreitet jegliche Verbindung zu ihr.
A.Abascal--ESF