Selenskyj sieht nach Istanbul-Verhandlungen "positive Signale"
Hoffnungsschimmer im Ukraine-Krieg: Nach einer Annäherung bei den russisch-ukrainischen Verhandlungen will Moskau als Zeichen des Entgegenkommens seine militärischen Aktivitäten in der Region Kiew und bei Tschernihiw im Norden nach eigenen Angaben "radikal" verringern. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sprach daraufhin von "positiven" Signalen, versicherte aber, dass die Ukraine vorerst weiter kämpfen werde. Washington reagierte mit großer Skepsis auf die Ankündigung Russlands.
Russlands Vize-Verteidigungsminister Alexander Fomin sagte nach den rund dreistündigen Gesprächen in Istanbul, "um das Vertrauen zu stärken", sei die "radikale" Reduzierung der militärischen Aktivitäten Russlands bei Kiew und der nördlich davon gelegenen Stadt Tschernihiw beschlossen worden. Der russische Chefunterhändler Wladimir Medinski sprach von einer "bedeutsamen Diskussion" in Istanbul. Die ukrainischen Vorschläge würden nun Kreml-Chef Wladimir Putin vorgelegt.
Die ukrainische Seite hatte ein "internationales Abkommen" vorgeschlagen, um die Sicherheit der Ukraine zu garantieren. Mehrere Länder sollten als Unterzeichnerstaaten die Garanten sein, erklärte der ukrainische Chefunterhändler David Arachamia und verwies auf den Artikel 5 der Nato. Der Bündnisfall-Artikel sieht vor, dass ein Angriff auf ein Land des Verteidigungsbündnisses als Angriff auf alle Bündnisstaaten gewertet wird.
Als Garantie-Staaten kommen demnach für Kiew unter anderen die USA, China, Frankreich und Großbritannien als ständige UN-Sicherheitsratsmitglieder sowie die Türkei, Deutschland, Polen und Israel in Frage. Arachamia machte ebenfalls deutlich, dass aus seiner Sicht die Ergebnisse von Istanbul "ausreichend" seien für ein Treffen von Selenskyj mit Kreml-Chef Putin.
Die von Russland annektierte Krim und die von pro-russischen Separatisten kontrollierten Gebiete im Osten wären erst einmal nicht Teil einer solchen Vereinbarung; über diese soll getrennt beraten werden.
Die Ukraine hat in den vergangenen Wochen bereits deutlich gemacht, dass sie zum Verzicht auf einen Nato-Beitritt und möglicherweise auch zur Neutralität bereit wäre, wenn sie im Gegenzug umfassende Sicherheitsgarantien erhält. Russland hatte als zentrale Ziele seines Angriffskriegs in der Ukraine die Neutralität, die "Demilitarisierung" und "Entnazifizierung" des Nachbarlandes ausgegeben.
Die eigentlich bis Mittwoch angesetzten Verhandlungen in Istanbul wurden beendet. Russischen Angaben zufolge sollen die Gespräche per Videoschalte fortgesetzt werden.
"Die russische Armee hat immer noch ein großes Potenzial, um die Angriffe auf unseren Staat fortzusetzen", sagte Selenskyj am Dienstagabend in einer Videobotschaft. Deshalb werde die Ukraine ihre Verteidigungsanstrengungen nicht verringern. Auch sollte es keinerlei Aufhebung von Sanktionen gegen Russland geben. Dies "kann erst in Betracht gezogen werden, wenn der Krieg vorbei ist und wir zurückbekommen, was uns gehört".
Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien und die USA kündigten an, den Sanktionsdruck gegen Russland beibehalten zu wollen. Nach einem Telefonat mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron, dem britischen Premierminister Boris Johnson und dem italienischen Regierungschef Mario Draghi sagte US-Präsident Joe Biden zu den russischen Ankündigungen: "Wir werden sehen, ob sie das wahr machen."
Das US-Verteidigungsministerium zeigte sich höchst skeptisch. Pentagon-Sprecher John Kirby sagte, bislang scheine sich nur eine "kleine Zahl" russischer Soldaten von Kiew zu entfernen. Das sei aber kein "Rückzug", sondern eine "Neupositionierung" der Truppen. Dennoch ließ die Annäherung bei den Verhandlungen die Börsenkurse deutlich steigen.
Die Kämpfe in der Ukraine gingen derweil weiter. Bei einem russischen Angriff auf die Regionalverwaltung in der südukrainischen Stadt Mykolajiw wurden nach ukrainischen Angaben zwölf Menschen getötet und 33 weitere verletzt.
Frankreich scheiterte mit seiner Initiative für eine Evakuierungsaktion aus der seit Wochen heftig umkämpften ukrainischen Hafenstadt Mariupol. Dies sei derzeit nicht möglich, erklärte Paris nach einem Gespräch von Präsident Macron mit Putin. Der russische Präsident forderte stattdessen die ukrainischen Streitkräfte in Mariupol zum Aufgeben auf.
B.Vidal--ESF