Regierung ruft Menschen in der Ostukraine zur sofortigen Flucht auf
Die ukrainische Regierung hat die Einwohner im Osten des Landes wegen einer befürchteten russischen Großoffensive zum sofortigen Verlassen der Region aufgerufen. Dies müsse "jetzt" geschehen, andernfalls riskierten die Menschen dort zu sterben, erklärte Vize-Regierungschefin Iryna Wereschtschuk auf Telegram am Mittwoch. Auch der Gouverneur der Region Luhansk, Serhij Gajdaj, rief die Menschen zur Flucht auf: "Bitte gehen Sie!"
Russland hatte sich zuletzt aus dem Raum Kiew und der Nordukraine zurückgezogen und angekündigt, sich auf den Osten und Süden des Landes konzentrieren zu wollen. Ziel der russischen Armee ist es, eine Landbrücke zwischen der besetzten Krim-Halbinsel und den pro-russischen Separatistengebieten im Donbass zu schaffen.
Die ukrainische Regierung bereitet deshalb auf einen anstehenden Großangriff Russlands in der Region vor. Beim Beschuss der Städte Sewerodonezk und Rubischne nahe der Front wurde am Mittwoch Gajdaj zufolge mindestens ein Mensch getötet. Er warnte, "dass der Feind vor der totalen Offensive all diese Orte vollständig zerstören wird".
In der 15.000-Einwohner-Stadt Wugledar südwestlich von Donezk wurden nach Angaben der Regionalbehörden vier Zivilisten bei der Bombardierung eines Zentrums zur Verteilung von Hilfsgütern getötet und vier weitere verletzt. Der Gouverneur der Region Donezk, Pawlo Kirilenko, berichtete auf Facebook, dass die Menschen den Aufrufen der Behörden Folge leisten: Die Evakuierungsroute "wird mehr genutzt".
Unterdessen gelang 500 Ukrainern, die ursprünglich aus der belagerten Stadt Mariupol im Südosten kamen, am Mittwoch die Flucht mit einem Konvoi unter dem Schutz des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK). Sie kamen am Abend aus der von russischen Truppen kontrollierten Hafenstadt Berdjansk in Saporischschja an. Eine IKRK-Sprecherin sagte der Nachrichtenagentur AFP: "Diese Menschen haben wirklich das Schlimmste erlebt." Die Menschen hätten Mariupol teils zu Fuß verlassen.
Das IKRK erklärte auf Twitter, die Helfer hätten zuvor fünf Tage lang versucht, Mariupol zu erreichen. Dies sei jedoch aufgrund der "Sicherheitslage nicht möglich" gewesen. Der Sprecherin zufolge gibt es in der seit Wochen eingekesselten Stadt "keine Nahrung, kein Wasser, keinen Strom". Ukrainischen Behörden zufolge sind dort noch 120.000 Menschen eingeschlossen.
Der Stadtrat von Mariupol korrigierte am Mittwoch bisherige Schätzungen zur Zahl der Toten in der Stadt nach oben. Bislang war von mindestens 5000 Toten die Rede gewesen. Angesichts der Größe der Stadt und der Dauer der Blockade könnte es jedoch "zehntausende Opfer unter der Zivilbevölkerung gegeben haben", erklärte der Stadtrat bei Telegram.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj beschuldigte Russland indessen, Hilfsorganisationen den Zugang zu Mariupol zu blockieren, um die "Tausenden" Opfer in der Stadt zu verschleiern. "Ich denke, dass sie Angst haben, dass die Welt sieht, was dort vor sich geht, solange nicht alles von russischen Soldaten 'gesäubert' wurde", sagte Selenskyj am Mittwoch in einem Interview mit dem türkischen Fernsehsender Habertürk.
P.Rodríguez--ESF