Russland verstärkt Angriffe auf zweitgrößte ukrainische Stadt Charkiw
Die russische Armee hat ihre Offensive im Osten und Süden der Ukraine mit unverminderter Härte fortgesetzt und dabei insbesondere die Großstadt Charkiw ins Visier genommen. In Charkiw waren in der Nacht zum Samstag heftige Explosionen zu hören. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sprach trotz der anhaltenden russischen Angriffe auf die zweitgrößte Stadt des Landes von "taktischen Erfolgen" der Regierungstruppen in der Region.
"Die Lage in der Region Charkiw ist schwierig", sagte Selenskyj in einer Fernsehansprache. "Aber unser Militär und unser Geheimdienst haben wichtige taktische Erfolge erzielt." Die ukrainischen Streitkräfte eroberten nach eigenen Angaben in der Nähe von Charkiw das "strategisch wichtige" Dorf Ruska Losowa zurück. Dem Verteidigungsministerium in Kiew zufolge brachten die ukrainischen Soldaten mehr als 600 Einwohner in Sicherheit.
Selenskyj warf der russischen Armee vor, bei ihrer Offensive im Donbass "alles Leben zerstören" zu wollen. Die permanenten Angriffe auf die Infrastruktur und auf Wohngebiete zeigten, "dass Russland dieses Gebiet unbewohnbar machen will".
Die russischen Truppen eroberten bereits eine Reihe von Dörfern in der Donbass-Region. Aber auch die ukrainischen Streitkräfte meldeten kleinere Erfolge. Ein hochrangiger Nato-Vertreter erklärte, Russland habe bei seinem Versuch, feindliche Stellungen einzukesseln, nur "geringfügige" und "ungleichmäßige" Fortschritte erzielt, während die ukrainischen Streitkräfte zum Gegenangriff übergingen.
Ein ranghoher Beamter des US-Verteidigungsministeriums sagte, Russlands Offensive in der Ostukraine liege "hinter dem Zeitplan" zurück. Die russischen Streitkräfte seien "weit davon entfernt, die Verbindung zwischen den Truppen, die über die Region Charkiw im Norden des Donbass einmarschiert sind, und den Truppen aus dem Süden des Landes herzustellen". Es sei aber davon auszugehen, "dass sie weiterhin die Bedingungen für eine anhaltende, größere und längere Offensive schaffen", fügte der Pentagon-Vertreter hinzu.
Washington ist der wichtigste Unterstützer des ukrainischen Militärs. Die USA haben in großem Umfang schwere Waffen an die Ukraine geliefert. Zudem lief inzwischen die Ausbildung ukrainischer Soldaten durch das US-Militär in Deutschland an.
Bei dem Training gehe es unter anderem um die Bedienung von Haubitzen und Radarsystemen, die Kiew im Rahmen der Militärhilfe zur Verteidigung gegen Russland zur Verfügung gestellt werden, sagte Pentagon-Sprecher John Kirby am Freitag in Washington. Die Ausbildung erfolge in Abstimmung mit Deutschland. Kirby äußerte sich in ungewohnt emotionaler Weise über den Krieg und warf Kreml-Chef Wladimir Putin vor, "skrupellos" zu agieren. Der Pentagon-Sprecher bescheinigte ihm ein hohes Maß an "Grausamkeit und Verdorbenheit".
Die Außenminister Frankreichs und Deutschlands, Jean-Yves Le Drian und Annalena Baerbock (Grüne), kündigten derweil an, ihre Unterstützung für die Republik Moldau zu vertiefen. In einem gemeinsamen Telefonat hätten beide Minister über die Lage in dem Nachbarland der Ukraine gesprochen und dabei ihre "gemeinsame Entschlossenheit" bekundet, die Ex-Sowjetrepublik "angesichts der Gefahren seiner Destabilisierung zu unterstützen", sagte die Sprecherin des französischen Außenministeriums, Anne-Claire Legendre, am Freitag.
Die prorussische Separatistenregion Transnistrien war diese Woche von mehreren Explosionen erschüttert worden. Die Explosionen verstärkten die Furcht vor einem Überschwappen des Ukraine-Kriegs auf Moldau. Moldaus pro-westliche Präsidentin Maia Sandu vermutete dahinter einen Versuch, die Spannungen in der Region zu eskalieren.
Transnistrien hatte sich im Zuge des Zerfalls der Sowjetunion 1990 von Moldau abgespalten. International wird das Gebiet nicht als eigenständig anerkannt. Die russische Armee verfügt in der Region über einen Militärstützpunkt und ein großes Munitionslager. Die Regierung in Chisinau fordert seit langem den Abzug der russischen Truppen aus der Region.
A.Abascal--ESF