Ex-Sicherheitschef zu neuem Hongkonger Regierungschef ernannt
Der frühere Hongkonger Sicherheitschef John Lee ist zum neuen Regierungschef der chinesischen Sonderverwaltungszone bestimmt worden. Ein Peking-treues Komitee votierte am Sonntag mit 99 Prozent der Stimmen für Lee, einen Gegenkandidaten gab es nicht. Lee tritt die Nachfolge der bisherigen Regierungschefin Carrie Lam an. Der 64-Jährige spielte eine zentrale Rolle bei der Unterdrückung der Hongkonger Demokratie-Bewegung, die 2019 Millionen Demonstranten mobilisiert hatte.
"Mir ist klar, dass ich Zeit brauchen werde, um die Bevölkerung zu überzeugen", räumte Lee vor den Medien auf die Frage ein, ob ihm nicht ein echtes Mandat zum Regieren fehle. "Aber ich werde es durch Taten schaffen". Nachdem die Behörden "nach dem Chaos die Ordnung wiederhergestellt" hätten, sei es nun sein Ziel, ein Hongkong "voller Hoffnung, Chancen und Harmonie" zu schaffen.
Während seines Wahlkampfes hatte Lee kaum Details zu seiner künftigen Politik genannt. Ausweichend äußerte er sich vor allem zu seiner Haltung zur immer umstritteneren Corona-Strategie in der chinesischen Sonderverwaltungszone. Viele Einwohner kritisieren die harten Lockdown-Regeln, die Hongkong de facto seit mehr als zwei Jahren von der Welt abgeschnitten haben.
Nach Angaben der Behörden wurde Lee mit 99 Prozent der Stimmen des handverlesenen 1461-köpfigen Komitees zum neuen Regierungschef gewählt. Acht Mitglieder votierten demnach gegen ihn, 33 gaben keine Stimme ab.
Peking begrüßte das Ergebnis als Zeichen für das "hohe Maß an Anerkennung und Zustimmung" für Lee. "Dies ist eine echte Demonstration des demokratischen Geistes", erklärte das Büro für Hongkong- und Macao-Angelegenheiten.
Scharfe Kritik kam dagegen aus der Europäischen Union. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell erklärte auf Twitter, Lees Ernennung verletze die demokratischen Prinzipien und den politischen Pluralismus in Hongkong. Das Auswahlverfahren sei ein "weiterer Schritt zur Abschaffung des Grundsatzes 'ein Land, zwei Systeme'".
Lee diente 35 Jahre lang in der Hongkonger Polizei, bevor er Sicherheitschef der chinesischen Sonderverwaltungszone wurde und im vergangenen Jahr schließlich zur Nummer zwei der Regierung der Millionenmetropole aufstieg. Das Amt offiziell von Lam übernehmen soll der 64-Jährige am symbolisch wichtigen 1. Juli - dem 25. Jahrestag der Übergabe der früheren britischen Kronkolonie Hongkong an China.
Seine in der Bevölkerung unbeliebte Vorgängerin Carrie Lam wollte nicht mehr für ein weiteres fünfjähriges Mandat antreten. Laut einer Umfrage des Public Opinion Research Institute vom März lag ihre Zustimmungsrate zum Schluss nur noch bei zwölf Prozent. Lees Rate lag demnach bei rund 24 Prozent.
Obwohl bei der Übergabe der Kronkolonie an China vereinbart worden war, dass Hongkong 50 Jahre nach der Formel "Ein Land, zwei Systeme" bestimmte Freiheiten und Autonomierechte behalten dürfe, hat die Zentralregierung in Peking ihren Einfluss auf die Sonderverwaltungszone in den vergangenen Jahren massiv ausgeweitet. Peking führte ein umfassendes "Gesetz zur nationalen Sicherheit" ein, um abweichende Meinungen zu unterdrücken.
Ein neues Überprüfungsverfahren soll sicherstellen, dass offizielle Ämter nur Peking-treuen Kandidaten offenstehen. Proteste wurden weitgehend verboten, wobei die Behörden neben dem Sicherheitsgesetz auch die Corona-Pandemie nutzen, um Versammlungen mit mehr als vier Teilnehmern zu verbieten.
Lokalen Medienberichten zufolge sollten rund 6000 bis 7000 Polizisten am Sonntag jeden Zwischenfall während des Wahlprozesses verhindern. Dennoch organisierte die Liga der Sozialdemokraten - eine der letzten pro-demokratischen Gruppierungen - vor Öffnung der Wahllokale eine Demonstration mit drei Teilnehmern. Unter den Augen Dutzender Polizisten skandierten sie: "Alle Macht dem Volk, allgemeines Wahlrecht jetzt".
Sie und ihre Mitstreiter wüssten, dass ihre Aktion keine Wirkung haben werde, sagte die Demonstrantin Vanessa Chan. "Aber wir wollten nicht, dass Hongkong völlig stumm bleibt".
M.E. De La Fuente--ESF