Baerbock als erstes Regierungsmitglied seit Kriegsbeginn zu Besuch in der Ukraine
Mit Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) ist am Dienstag erstmals seit Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine ein Mitglied der Bundesregierung in das Land gereist. Zum Auftakt ihres Besuches machte Baerbock sich ein Bild von der Zerstörung des Kiewer Vororts Butscha. Die russische Armee griff unterdessen erneut die südukrainische Hafenstadt Odessa mit Raketen an und verstärkte ihre Offensive im Osten.
Butscha sei zum Symbol für "unvorstellbare Verbrechen" wie "Folter, Vergewaltigung, Mord" geworden, erklärte Baerbock auf Twitter. Im Namen Deutschlands habe sie der Ukraine volle Unterstützung bei der Aufklärung der "Kriegsverbrechen" zugesichert, die dort verübt worden seien.
Baerbock sprach nach eigenen Angaben mit Bewohnern von Butscha. In Butscha und weiteren Kiewer Vororten waren nach dem Rückzug der russischen Truppen aus der Region Ende März die Leichen zahlreicher Zivilisten gefunden worden. Die ukrainische Regierung macht die russische Armee dafür verantwortlich. Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag hat infolge der Leichenfunde Ermittlungen wegen Kriegsverbrechen eingeleitet.
Baerbock, die in Butscha von der ukrainischen Generalstaatsanwältin Iryna Wenediktowa begleitet wurde, betonte, es sei wichtig, dass die internationale Gemeinschaft Beweise zu den mutmaßlichen "Kriegsverbrechen" und "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" sammele.
Eine Serie von Raketenangriffen traf in der Nacht zum Dienstag die Hafenstadt Odessa. Dabei wurden mehrere Gebäude zerstört und ein Einkaufszentrum in Brand gesetzt, wie die Behörden mitteilten. Ein Mensch wurde getötet. Am Montag hatte sich EU-Ratspräsident Charles Michel bei einem Besuch in Odessa vor Raketenangriffen in Sicherheit bringen müssen.
Im Osten des Landes verschärften die russischen Streitkräfte ihre Angriffe. "Das Epizentrum der Kämpfe hat sich verlagert" nach Bilohoriwka in der Region Luhansk, erklärte das ukrainische Präsidialamt. In Bilohoriwka waren am Wochenende bei einem Luftangriff auf eine Schule nach ukrainischen Behördenangaben 60 Menschen getötet worden.
Der Beschuss der Städte Sewerodonezk und Lysytschanks dauerte demnach an. AFP-Journalisten sahen zahlreiche Lkw mit Soldaten und schwerer Ausrüstung, die aus der Stadt Sewerodonezk herausfuhren, einer der letzten östlichen ukrainischen Bastionen.
Das russische Verteidigungsministerium verkündete die Einname der Stadt Popasna zwischen Kramatorsk und Luhansk im Norden des Donbass. Die russischen Truppen und die pro-russischen Kämpfer hätten damit "die Verwaltungsgrenze der Volksrepublik Luhansk" erreicht.
In dem von russischen Truppen belagerten Industriekomplex Asow-Stahl in Mariupol halten sich nach Angaben der ukrainischen Regierung noch mehr als tausend ukrainische Soldaten auf. "Hunderte sind verletzt", sagte die ukrainische Vize-Regierungschefin Iryna Wereschtschuk. Einige der Soldaten seien "schwer verletzt" und müssten "dringend" aus dem Stahlwerk herausgeholt werden, sagte Wereschtschuk. "Die Situation verschlimmert sich täglich."
Sie wies zudem Angaben von zwei örtlichen Behördenvertretern zurück, wonach sich noch rund hundert Zivilisten in dem Werk aufhalten sollen. "Das stimmt nicht", sagte sie. Vergangene Woche waren alle "Frauen, Kinder und älteren Zivilisten" aus dem Komplex herausgeholt worden.
Baerbocks Besuch in der Ukraine ist der erste eines Mitglieds der Bundesregierung seit Kriegsbeginn am 24. Februar. Er war vergangene Woche von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) angekündigt worden. Zuvor waren die schweren Irritationen infolge der Ausladung von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier durch die Regierung in Kiew in einem Telefonat Steinmeiers mit Selenskyj ausgeräumt worden.
Scholz sagte am Dienstag in Berlin, gemeinsam mit dem Besuch von Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) in der Ukraine sei Baerbocks Reise "eine gute Grundlage für die ja unverändert wichtigen Zusammenarbeitsbeziehungen, die wir haben".
In Washington unterzeichnete US-Präsident Joe Biden ein Gesetz, das schnellere Waffenlieferungen an die Ukraine ermöglichen soll. Das Gesetz gibt Biden mehr Vollmachten, Vereinbarungen mit der ukrainischen Regierung zur Lieferung von US-Waffen zu treffen.
D.Serrano--ESF