Erste Angriffe auf Kiew seit Ende April
Erstmals seit mehr als einem Monat haben russische Truppen wieder die ukrainische Hauptstadt Kiew beschossen. Während die ukrainische Seite von beschädigter Infrastruktur der Bahn sprach, meldete Moskau die gezielte Zerstörung von frisch aus dem Ausland gelieferten Panzern. Russlands Präsident Wladimir Putin warnte die westlichen Staaten zugleich davor, der Ukraine Langstreckenraketen zu liefern. Die Gefechte in der schwer umkämpften ostukrainischen Stadt Sjewjerodonezk hielten derweil an.
"Mehrere Explosionen in den Stadtbezirken Darnyzky und Dniprowsky", erklärte Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko. "Die Rettungsdienste sind dabei zu löschen." Ukrainische Beamte erklärten, russische Raketen hätten bei den ersten Angriffen auf Kiew seit dem 28. April Einrichtungen der Eisenbahninfrastruktur getroffen.
Russland sprach dagegen von der gezielten Zerstörung von Waffenlieferungen: "Hochpräzise Langstreckenraketen" seien von der russischen Luftwaffe auf Hangars in Kiew abgefeuert worden, in denen sich "von osteuropäischen Ländern gelieferte T-72-Panzer und andere gepanzerte Fahrzeuge befanden", sagte der Sprecher des russischen Verteidigungsministeriums, Igor Konaschenkow.
Nach ukrainischen Angaben wurde ein Mensch verletzt. AFP-Reporter sahen mehrere Gebäude mit zerstörten Fenstern in der Nähe einer der angegriffenen Anlagen. Leonid, ein 63-jähriger Anwohner, sagte, er habe drei oder vier Explosionen gehört. "Es gibt dort nichts Militärisches, sie bombardieren einfach alles", fügte er hinzu.
Russlands Präsident Putin richtete nur kurz nach dem Angriff eine Warnung an westliche Staaten, der Ukraine keine Langstreckenraketen zu liefern. Andernfalls "werden wir die entsprechenden Schlussfolgerungen ziehen und unsere Waffen einsetzen (...), um Objekte zu treffen, die wir bisher nicht getroffen haben", sagte er nach Angaben russischer Nachrichtenagenturen. Demnach machte er keine genaueren Angaben, welche potenziellen Ziele er damit meint.
Die USA hatten vor wenigen Tagen die Lieferung von Mehrfachraketenwerfern des Typs Himars an die Ukraine angekündigt. Die mobilen Geräte können mehrere präzisionsgelenkte Raketen gleichzeitig auf Ziele in bis zu 80 Kilometern Entfernung abfeuern. Militärexperten zufolge ist die Reichweite etwas größer als die ähnlicher russischer Systeme, so dass die Kiewer Streitkräfte feindliche Artillerie treffen könnten, ohne in Moskaus Reichweite zu geraten.
Die Lieferung von Raketensystemen mit noch größerer Reichweite hatte US-Präsident Joe Biden trotz entsprechender Forderungen aus Kiew allerdings abgelehnt. Auch Putin spielte die Bedeutung der jüngsten Ankündigungen aus Washington herunter. Über ähnliche Waffen verfüge Kiew bereits, sagte er. Allgemein führten die westlichen Waffenlieferungen derzeit lediglich dazu, dass der Konflikt in die Länge gezogen werde, warnte er.
In der Ostukraine wurde derweil weiter gekämpft. Die Ukraine verkündete Gebietsgewinne im heftig umkämpften Sjewjerodonezk. "Die Russen kontrollierten etwa 70 Prozent der Stadt, aber in den vergangenen zwei Tagen wurden sie zurückgedrängt", erklärte der Gouverneur der Region Luhansk, Serhij Gajdaj. "Die Stadt ist in zwei Hälften geteilt, sie haben Angst, sich dort frei zu bewegen." Acht russische Soldaten seien festgenommen worden.
Die russische Seite hatte noch am Samstag den Abzug ukrainischer Soldaten aus Sjewjerodonezk gemeldet. "Einige Einheiten der ukrainischen Armee, die bei den Kämpfen um Sjewjerodonezk schwere Verluste (in einigen Einheiten bis zu 90 Prozent) erlitten haben, ziehen sich in Richtung Lyssytschansk zurück", teilte das Verteidigungsministerium in Moskau mit.
Der Bürgermeister der Stadt, Oleksandr Striuk, erklärte später, dass die "Straßenkämpfe" weitergingen. Die ukrainischen Streitkräfte versuchten, "die vollständige Kontrolle" wiederherzustellen.
Sjewjerodonezk ist die letzte größere Stadt der Region Luhansk, die Russland noch nicht erobert hat. Erklärtes Ziel Moskaus ist es, die gesamte Donbass-Region, zu der noch die Region Donezk gehört, einzunehmen. Teile des Donbass werden bereits seit 2014 bereits von pro-russischen Separatisten kontrolliert.
F.González--ESF